Mediengespräch Pflanzenbau

AGRAVIS-Versuchsgut St. Mauritz in Münster

Im Fokus: Die Eckpunkte eines nachhaltigen Pflanzenbaus.

24. August 2022

Welche Pflanzenbaustrategien sichern auch morgen noch unsere Ernährung angesichts der Vorgaben von Green Deal und Farm to Fork? Welche Bedeutung kommt hierbei der Kreislaufwirtschaft mit stabilen regionalen Strukturen zu? Fragestellungen, die die Landwirtschaft und damit auch den Pflanzenbau mehr denn je bewegen. Äußere Rahmenbedingungen wie Klimawandel, Kostendruck, Lieferketten und Umweltstandards fordern die Agrarbranche, in Lösungen zu denken. Mit einem klaren Blick nach vorn sowie einer zukunfts- und nachhaltigkeitsorientierten Strategie stellt sich die AGRAVIS diesen Aufgaben.

Beim Mediengespräch Pflanzenbau auf dem AGRAVIS-Versuchsgut St. Mauritz im August 2022 gaben Dr. Dirk Köckler (Vorstandsvorsitzender der AGRAVIS Raiffeisen AG), Dr. Bianca Lind (AGRAVIS-Nachhaltigkeitsmanagerin), Ralf-Georg Keunecke und Franz Schulze Eilfing (AGRAVIS-Pflanzenbauexperten) sowie Bernd Schmitz (Bereichsleiter Futtermittel) fachkundige Aussagen.

Mediengespräch Pflanzenbau

Skizzierten aus Sicht der AGRAVIS Raiffeisen AG die Eckpunkte eines nachhaltigen Pflanzenbaus (v.l.): Franz Schulze Eilfing, Bernd Schmitz, Dr. Dirk Köckler, Ralf-Georg Keunecke und Dr. Bianca Lind.

Die Themen:

Ein leidenschaftliches Plädoyer für den Agrarstandort Deutschland und den Erhalt der regionalen, innovativ-nachhaltigen Landbewirtschaftung hielt Dr. Dirk Köckler auf dem AGRAVIS-Versuchsgut St. Mauritz in Münster. „Gerade jetzt führt uns die politische Zeitenwende, die einhergeht mit einer Phase der Knappheit, vor Augen, welchen herausragenden Stellenwert die Versorgungs- und Ernährungssicherheit in Deutschland und der Welt hat“, unterstrich der Vorstandsvorsitzende der AGRAVIS. „Dieser Herausforderung stellen wir uns sehr gern und ernsthaftig – und werben dafür die Mitwirkung aller Player entlang der Wertschöpfungskette ein.“

Politik muss Leitplanken setzen

Der Unternehmenschef wies im gleichen Atemzug allerdings darauf hin, dass es dafür stabile Leitplanken brauche. „Die muss die Politik setzen. Und sie müssen so gesetzt werden, dass der Landwirtschaft und den vor- und nachgelagerten Bereichen eine dauerhafte wirtschaftliche Perspektive bleibt.“ Zumindest für 2023 herrsche nun seit wenigen Wochen Klarheit darüber, dass die zusätzliche Flächenstilllegung von vier Prozent ausgesetzt wird und auf die Fruchtfolgevorgabe zum Verbot von Stoppelweizen verzichtet wird. Die Landwirtschaft habe nun mehr Planungssicherheit, auch wenn die vier Prozent Stilllegungsflächen für eine nachhaltige Ernährungssicherheit in Deutschland nur bedingt eine Rolle spielen, da nicht auf jeden Flächen Backqualitäten erreicht werden können.

Herausfordernde Rahmenbedingungen erfordern umsetzbare Lösungen

Die äußeren Rahmenbedingungen seien immens schwierig, sagte Dr. Köckler. Der Ukraine-Krieg und seine Folgen für die Agrar- und Energiemärkte, die Kostensteigerungen auf ganzer Linie vom Treibstoff bis zur Verpackung, der Klimawandel, die angespannte Lage bei Lieferketten und Logistik: „Jede für sich allein wäre schon fordernd genug. Da sie nun zeitgleich auftreten, sind wir umso mehr gezwungen, in umsetzbaren Lösungen zu denken und zu handeln. Denn in jeder Herausforderung liegen auch Chancen.“

AGRAVIS und Genossenschaften haben Lösungsansätze parat

Wie Dr. Dirk Köckler weiter ausführte, befindet sich im „Instrumentenkoffer“ der AGRAVIS und den Genossenschaften ein ganzes Bündel von Lösungsansätzen. „Als systemrelevantes Unternehmen bleiben wir gemeinsam mit dem genossenschaftlichen Verbund der starke regionale Partner für die Versorgungssicherheit der Landwirtschaft und der Bevölkerung.“ Wie wichtig regionale Strukturen seien, zeigten die nach wie vor gestörten Lieferketten. „Deshalb werden wir auch weiterhin zusammen mit unseren genossenschaftlichen Partnern in leistungsfähige Logistikstandorte investieren. Wir bekennen uns zur Produktion von Nutztierfutter in der Kreislaufwirtschaft und bilden das mit unseren modernen Produktionsstätten ab – auch hier vielfach gemeinsam betrieben mit unseren regionalen genossenschaftlichen Partnern.“

Elementare Bestandteile der Kreislaufwirtschaft

Tierhaltung und Futterproduktion im Zusammenspiel mit dem Pflanzenbau sind für den AGRAVIS-Chef elementare Bestandteile der Kreislaufwirtschaft. „Landwirtinnen und Landwirte würden auch aus wirtschaftlichen Gründen am liebsten Brot- statt Futtergetreide anbauen. Das aber ist nun mal nicht auf jedem Acker möglich.“ Bei angepassten Fruchtfolgen mit breiter Risikostreuung und Anbaudiversifizierung fallen schwache Qualitäten und Nebenprodukte wie Schrote von Rapssamen oder Sonnenblumen sowie Kleien aus der Mehlherstellung an. „Das sind hochwertige Komponenten fürs Tierfutter“, so Köckler. Er unterstrich erneut, dass der Anteil an Brotgetreide bei der Mischfutterproduktion in den AGRAVIS-Werken aktuell weniger als fünf Prozent betrage. Fruchtarten wie Triticale oder Gerste seien hingegen für den menschlichen Verzehr bei uns ungeeignet. „Daher muss aus meiner Sicht bei der aktuellen Diskussion um Trog oder Teller auch genauer hingeschaut werden, um eine Schieflage in der Argumentation zu vermeiden. Lebensmittelproduktion und Tierfütterung schließen sich beim Getreideanbau nicht aus, sondern ergänzen sich.“ Aktuell schließe die Marktlage auch aus, dass Brotgetreide für die Tierernährung genutzt werde. „Diese falschen Darstellungen helfen nicht weiter. Hier wird auf Kosten der Landwirtschaft und der Futtermittelproduzenten Politik gemacht.”

Digitalisierung bietet Chancen und Möglichkeiten

Um die Versorgungssicherheit und einen möglichst hohen Grad an Selbstversorgung nicht zu gefährden, muss nach Ansicht Köcklers das Potenzial von Hochertragsstandorten ausgeschöpft werden, ohne damit die Anforderungen an einen nachhaltigen Pflanzenbau aufzugeben. „Hier eröffnet die Digitalisierung geeignete Wege, um das zu erreichen. Beispiele hierfür sind die teilflächenspezifische Bewirtschaftung oder die Erprobung von Feldrobotik.“ Mit der vollautomatischen Feldspritze ARA, die sich mittlerweile im praktischen Einsatz befindet, lässt sich bei Spezialanwendungen der Unkrautnachbehandlung durch einen effizienten und punktgenauen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln die Aufwandmenge erheblich reduzieren. Mit dem aktuell vorliegenden Verordnungsentwurf der EU zur Reduktion von chemischen Pflanzenschutzmitteln werde aber Hand angelegt an einen ertragreichen Pflanzenbau an sich. „Ein komplettes Verbot in Schutzgebieten entzieht der bäuerlichen Landwirtschaft die Grundlagen, genügt nicht der guten fachlichen Praxis und ist somit nicht nachhaltig.“ Statt pauschaler Verbote sei eine differenzierte Betrachtung erforderlich. Denn verantwortungsbewusster Pflanzenschutz sei unverzichtbar, um Erträge und Qualitäten zu sichern. „Das gilt erst recht in diesen disruptiven Zeiten, die durch den Ukraine-Krieg ausgelöst wurden.“ Schädlingsbefall wie Fusarium im Weizen oder der Kartoffelkäfer könne ganze Ernten vernichten und die Versorgungssicherheit damit ins Wanken bringen. „Chemischer Pflanzenschutz bewegt sich in einem strengen Zulassungsrahmen“, so Köckler. Die Anzahl der zulässigen Wirkstoffe sei seit Jahren rückläufig. „Damit kann und muss die Landwirtschaft umgehen. Auch wir als Agrarhändler stellen uns darauf ein.“ Unbestrittenes Ziel des nachhaltigen Pflanzenschutz-Einsatzes müsse es sein, Innovationen zu treiben. „Wir bei der AGRAVIS tun das“, verweist der Unternehmenschef hier unter anderem auf die Smart Farming-Technologie, die die mechanische Unkrautbekämpfung und den gezielten Pflanzenschutzeinsatz revolutioniere. Dazu gehört für ihn aber auch ein ehrlicher Blick auf die Züchtung. „Randfruchtarten wie Hafer oder Leguminosen fristen weiterhin ein Schattendasein im Ackerbau, den nötigen züchterischen Fortschritt gibt es bisher nicht.“ In eine ideologiefreie und sachliche Auseinandersetzung schließt der AGRAVIS-Chef auch einen nüchternen Blick auf Crispr Cas ein. Diese Genom-Editing-Methode könne ebenfalls ein Baustein zur Ernährungssicherung und zur weiteren Reduzierung des Pflanzenschutzeinsatzes sein. Die AGRAVIS die verbandspolitischen Initiativen des Deutschen Raiffeisenverbandes zu dem vorliegenden Verordnungsentwurf der EU.

Das AGRAVIS-Versuchsgut St. Mauritz

Das AGRAVIS-Versuchsgut vor den Toren Münsters ist so etwas wie eine unternehmenseigene Herzkammer des modernen Pflanzenbaus, wo Jahr für Jahr rund 170 Getreidesorten in Anbauversuchen getestet werden. Auf dem Betrieb werden an gleicher Stelle auch Biodiversitätsmaßnahmen umgesetzt, zum Beispiel mehrjährige Blühstreifen. „Erste Monitoringergebnisse aus vergleichbaren Anlagen deuten darauf hin, dass gezielte und vernetzte Maßnahmen auf kleiner Fläche für das Artenaufkommen deutliche Verbesserungen bringen“, fasste Dr. Köckler zusammen. „Im Umkehrschluss heißt das, dass mehr Biodiversität nicht automatisch mehr Extensivierung bei den Produktionsflächen bedeutet. Entscheidend ist vielmehr die Effektivität der einzelnen Maßnahmen.“

Wetterextreme, Lieferengpässe, politische Rahmenbedingungen, Ernährungssicherheit: Der Pflanzenbau steht vor einer Vielzahl an Herausforderungen. Aus der Fragestellung, welche Pflanzenbaustrategien auch morgen noch unsere Ernährung sichern und unter welchen Bedingungen dies möglich ist, ergeben sich nach Überzeugung der AGRAVIS Raiffeisen AG viele Lösungsansätze, die auf eine nachhaltige Landbewirtschaftung einzahlen und zugleich den Ackerbaubetrieben auch in Zukunft eine wirtschaftliche Perspektive bieten.

Auch in Deutschland ist der Klimawandel angekommen

„Die Trockenheits- und Hitzeperioden in den vergangenen Wochen haben uns nochmal sehr deutlich vor Augen geführt, dass der Klimawandel längst da ist und wir die drastischen Folgen auch hier in Deutschland deutlich spüren. Trotzdem sind wir durch fruchtbare Böden und vergleichsweise immer noch gemäßigte Temperaturen gegenüber vielen anderen Ländern begünstigt“, sagt Ralf Keunecke, Pflanzenbauberater bei der AGRAVIS. Gerade jetzt – da die Ernährungssicherheit plötzlich nicht mehr selbstverständlich sei – müssten daher alle Chancen auf hohe Erträge bei guten Qualitäten auch tatsächlich ergriffen werden.

Hochertragsstandorte effizient und nachhaltig nutzen

„Ziel sollte es sein, Hochertragsstandorte effizient und damit nachhaltig zu nutzen und sich am Faktoreinsatz pro Ertragseinheit zu orientieren. Mit einem angemessenen Einsatz von Produktionsmitteln können wir an diesen Standorten sehr gute Erträge erwirtschaften.“ Eine pauschale Flächenextensivierung stehe dem aber konträr gegenüber.

Verantwortungsvoller und ressourcenschonender Pflanzenschutz notwendig

Auch die geplante pauschale Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent würde das Ziel einer Versorgungssicherheit erschweren. Ein verantwortungsvoller und ressourcenschonender Pflanzenschutz müsse möglich bleiben, um Erträge abzusichern. „Landwirt:innen müssen im Pflanzenbau auf spezifische Witterung und biologische Bedingungen eines Jahres reagieren können. So führen beispielsweise Infektionsbedingungen für Rostkrankheiten ohne Behandlungsmöglichkeit zu erheblichen Ertragsausfällen. Andere Erreger wie Fusarien können in Befallsjahren durch Toxinbildung die Nahrungsqualität gefährden.

Kreislaufwirtschaft mit angepassten Fruchtfolgen spielt eine wichtige Rolle

Verordnungen und Gesetze dürfen hier nur einen Rahmen setzen, aber keine statischen Handlungsanweisungen geben“, betont Franz Schulze Eilfing, AGRAVIS-Pflanzenbauberater. Dabei spielt die Kreislaufwirtschaft mit angepassten Fruchtfolgen eine wichtige Rolle. Angepasste Fruchtfolgen bieten die Möglichkeit, Kulturen mit unterschiedlichen Ansprüchen zu etablieren und die Ertragsrisiken durch Extremwetterlagen zu minimieren. Dabei sollten Kulturen in der Fruchtfolge etabliert werden, die über das Jahr zu unterschiedlichen Zeiten ihren Ertrag aufbauen, um vor allem Wetterrisiken zu reduzieren. Auch sollte die Anbauplanung so flexibel über das Jahr gestaltet werden, dass jede Frucht unter optimalen Ausgangsbedingungen starten kann“, so Schulze Eilfing. Zwischenfrüchte und Maßnahmen zu Erhaltung und Aufbau der Bodenfruchtbarkeit können Startbedingungen sowie Ertragssicherheit verbessern. Jedoch lässt sich nur mit dem Anbau von Pflanzen für die Fütterung eine vielfältige Fruchtfolge auf unseren Standorten langfristig umsetzen.

Lebensmittelproduktion und Tierhaltung ergänzen sich gegenseitig

Dass sich Lebensmittelproduktion und Tierhaltung nicht gegenseitig ausschließen, sondern ergänzen, zeigen nicht nur angepasste Fruchtfolgesysteme: Aus Rohwaren, die in die Lebensmittelproduktion gehen, entstehen Nach- und Nebenprodukte, die ohne Tierhaltung ungenutzt bleiben würden. „Aus der pflanzlichen Rohware lassen sich 20 Prozent für die menschliche Ernährung nutzen, 80 Prozent hingegen finden in der Tierhaltung eine wertvolle Verwendung“, erklärt Bernd Schmitz, Leiter des Bereichs Futtermittel bei der AGRAVIS. Parallel findet der organische Dünger aus der Tierhaltung einen effizienten Nutzen: Die durch das Pflanzenwachstum entzogenen Nährstoffe werden dem Acker in Form von organischem Dünger wieder zugeführt, wodurch der Verbrauch von mineralischem Dünger gesenkt werden kann.

Biodiversitätsmaßnahmen mehrjährig und gezielt anlegen

Das Denken in Kreisläufen und die Effizienz der einzelnen Maßnahmen sind aber nicht nur für das Gesamtziel der Versorgungssicherheit entscheidend – gleiches gilt für eine erfolgreiche Artenförderung. „Eine Selbstbegrünung oder einjährige Blühstreifen haben kaum Einfluss auf die Biodiversität“, berichtet Dr. Bianca Lind, AGRAVIS-Nachhaltigkeitsmanagerin. Biodiversitätsmaßnahmen müssten vielmehr mehrjährig und gezielt angelegt werden, außerdem miteinander vernetzt sein. So wurde es im vergangenen Jahr auf dem AGRAVIS-Versuchsgut St. Mauritz umgesetzt. Wie sich das Artenaufkommen dadurch verändert, wird über mehrere Jahre beobachtet und protokolliert. „Ein erstes Monitoring im Zuge der Bestandsaufnahme mit Blick auf Laufkäfer, Wildbienen und Vogelwelt entsprach unseren Erwartungen“, fasst Dr. Bianca Lind zusammen. Das für das Münsterland typische Artenspektrum spiegele sich auch rund um das Versuchsgut wider. „Wir haben aber auch herausgefunden, dass es ein sehr gutes Specht-Gebiet ist“, so Dr. Lind zu den ersten Erkenntnissen. Die Ansprüche der Tiere zu erfüllen, ist maßgeblich, um sie an dem Standort zu erhalten.

Ziele müssen nachvollziehbar sein

Letzten Endes ist es wichtig, obligatorische Ziele für die Landwirtschaft, den Pflanzenbau, Natur-, Klima- und Umweltschutz transparent und wissenschaftlich nachvollziehbar zu formulieren. Dabei sollte die Zielerreichung belohnt werden, der Werkzeugkasten und Weg dorthin jedoch flexibel und vielfältig bleiben.

Standortdaten ändern

Bestimmen Sie hier Ihren Standort. Tragen Sie hierfür lediglich Ihre PLZ sowie die Straße ein.