Keine Rezession im Sojamarkt?

Blick auf die Proteinmärkte 2022

Der AGRAVIS-Experte Sven-Heiko Hassebroek blickt in seinem aktuellen Marktbericht auf die Märkte für Futterrohstoffe. Wie entwickelten sie sich im Jahr 2022 und was erwartet er für 2023?

12. Januar 2023: Dieser Marktbericht erschien auch in der Land & Forst.

2022 war in den Proteinmärkten für alle Beteiligten ein wieder äußerst herausforderndes Jahr. Wer gedacht hatte, langsam könnte wieder etwas Ruhe einkehren, wurde auf nicht immer sanfte Weise eines Besseren belehrt. Im Gegensatz zu den Getreidemärkten spielte und spielt der anhaltende Ukraine-Konflikt hier eine zwar untergeordnete Rolle, dafür aber wurden die Soja- und Canola-Notierungen an den Börsen umso heftiger von den Wettermärkten, guter Nachfrage und politischen Entscheidungen aller Art auf Trab gehalten. Die unglaublich volatilen Märkte, im Gespann mit immensen täglichen Preisschwankungen, trieben vielen den kalten Schweiß auf die Stirn.

Rekorde in den USA - Ausfälle in Südamerika

Im Erntejahr 2021/22 brachten die USA laut dem amerikanischen Landwirtschaftsministerium USDA mit knapp 121,5 Millionen Tonnen Sojabohnen zwar eine neue Rekordproduktion ein, doch konnte diese die trockenheitsbedingten Ausfälle in Südamerika Anfang 2022 nicht kompensieren. Allein in Brasilien kam die Ernte mit 127 Millionen Tonnen rund 20 Millionen Tonnen schlechter als ursprünglich erwartet herein, und auch in Argentinien wurden mit 43,9 Millionen Tonnen 3,5 Millionen Tonnen weniger geerntet als im Vorjahr. Weltweit sank die Produktion gegenüber dem Vorjahr um 13 Millionen Tonnen auf 356 Millionen Tonnen – doch auch ein Verbrauchsrückgang 2021/22 um drei auf nunmehr 360 Millionen Tonnen konnte einen Bestandsabbau nicht verhindern. Damit waren die fundamentalen Voraussetzungen für ein hohes Preisniveau in 2022 geschaffen.

Bestände erholen sich im aktuellen Wirtschaftsjahr

Nach aktuellem Stand sollten sich die Bestände im Wirtschaftsjahr 2022/23 wieder etwas erholen. Die weltweite Anbaufläche wird von 130,9 Millionen Hektar auf prognostizierte 135 Millionen Hektar ausgedehnt, und die vom USDA erwartete Erntemenge soll mit 391 Millionen Tonnen so hoch ausfallen wie noch nie zuvor. Der größte Zuwachs mit 25 Millionen Tonnen kommt aus Brasilien, dort sollen insgesamt 152 Millionen Tonnen geerntet werden. Ein großes Fragezeichen steht allerdings noch hinter Argentinien; im dritten „La Nina“-Jahr hintereinander kämpft das Land mit starker Trockenheit und niedrigem Grundwasserspiegel. Keine idealen Voraussetzungen also, um die 49,5 Millionen Tonnen, die das USDA erwartet, zu erreichen. Marktteilnehmer schätzen die Ernte um vier bis fünf Millionen Tonnen geringer ein.

Hohe Nachfrage bei Pflanzenölen

In der Nachfrage ist bei den Sojabohnen keine Entspannung in Sicht. Der weltweite Bedarf nach Pflanzenölen stieg auch 2022 – und wird auch 2023 weiter steigen. Zur Erinnerung: Verarbeitet werden die Sojabohnen in erster Linie wegen ihres Öls, nicht wegen des Schrots. Beim Schrot sind die Mengen in Europa statisch bzw. mittelfristig tendenziell leicht rückläufig. Gute Schlaglöhne, niedrige Bestände sowie gute Schweinefleischpreise und die Ölnachfrage im größten Sojabohnen-Importland China lassen aus fundamentaler Sicht auch beim Schrot keinen weltweiten Nachfrageeinbruch erwarten.

Öl bullish und Schrot bearish

Komplizierter wird es beim Biodiesel, vor allem in den USA. Laut aktuellen US-Plänen sollen die Beimischungsquoten erhöht werden, das heißt, die Biodieselproduktion soll stark steigen. Der US-Markt ist in dieser Hinsicht wegen der föderalen Strukturen äußerst komplex; jeder US-Bundesstaat kocht gewissermaßen sein eigenes Süppchen. 2022 wurden laut der University of Missouri in den USA 10,7 Millionen Tonnen Biodiesel produziert, das sind knapp 2,5 Millionen Tonnen mehr als noch 2021. Die Frage ist: Ist das ein längerfristiger Trend, und werden all die neuen Ölmühlen auch gebaut, um die Biodieselimportabhängigkeit zu reduzieren? Und: Steigt die Produktion weiter, könnte dann der inländische US-Sojabohnenverbrauch langfristig um 12 Millionen Tonnen wachsen? Nach aktuellem Stand wäre das ein nicht unwahrscheinliches Szenario. Auf dem Papier hieße das: bullish Öl und bearish Schrot – und zwar langfristig.
Preisbestimmend neben der Versorgungslage sind weiterhin die Logistik und die Auswirkungen der Politik, speziell in Argentinien. Exportzölle und eine Inflationsrate von über 100 Prozent sowie die bekannten Währungsrestriktionen werden die argentinischen Landwirte weiterhin zu sehr zurückhaltenden Verkäufern machen. Die Bohne auf dem Hof im Silobag ist schlicht der beste Hedge in Krisenzeiten.
Und des einen Leid ist des anderen Freud – die brasilianischen Farmer können sich auch 2023 mit einer voraussichtlichen Rekordernte und mit Blick auf ihre zurückhaltenden südlichen Nachbarn wahrscheinlich wieder auf gute Exportprämien und Preise freuen.

Keine Zeit für Helden

Alles in allem werden wir auch in 2023 bei allen Ungewissheiten einschließlich der weltwirtschaftlichen Lage mutmaßlich wieder sehr volatile Märkte sehen, in denen, wie auch schon 2022, die Logistik und punktuelle Verfügbarkeit das i-Tüpfelchen sein werden. Unterm Strich heißt es: keine Zeit für Helden.

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