Getreidemärkte nach der Ernte

Dur oder Moll - Wie ist die Stimmung in den Getreidemärkten nach der Ernte 2019?

Der AGRAVIS-Experte Alfred Reisewitz aus dem Bereich Agrarerzeugnisse beleuchtet die deutschen wie auch globalen Getreidemärkte im Herbst 2019.

Die europäische Getreideernte 2019 hat in vielen Regionen Europas die noch im Juni prognostizierten guten Ergebnisse gebracht – aber leider nicht überall. Deutschland ist, was die Ernteleistungen anbelangt, zweigeteilt. Während der Süden und der Westen unseres Landes aufgrund der Niederschlagsverteilung und der Niederschlagsmenge im Vegetationsverlauf noch recht gut gedroschen hat, ist die Situation in Niedersachsen und den östlichen Bundesländern eine andere.

Und während auf EU-Ebene die Analysten Getreidezahlen zwischen 310 und 315 Millionen Tonnen diskutieren, die Weizenernte der Gemeinschaft auf über 144 Millionen Tonnen geschätzt wird und Frankreich das zweitbeste Weizenergebnis und die größte Braugerstenernte aller Zeiten feiert, finden wir uns mit unserer deutschen Ernte von circa 45 bis 46 Millionen Tonnen irgendwo im Niemandsland der Agrarstatistik wieder. Oder anders ausgedrückt: Wir sind insgesamt durchschnittlich. In Niedersachsen und in unseren östlichen Nachbarbundesländern reichen die Erträge häufig noch nicht einmal an den langjährigen Durchschnitt heran; die Landkarte der Getreideergebnisse gleicht eher einem bunten Flickenteppich als einem homogenen Bild.

Für diese äußerst unbefriedigende Situation sind im Wesentlichen zwei Gründe zu nennen: Erstens haben die Winterniederschläge 2018/19 im nordostdeutschen Raum nicht ausgereicht, das Wasserdefizit aus 2018 auszugleichen und die Wasservorräte im Unterboden wieder aufzufüllen. Und zweitens haben unsere Regionen seit Mitte Juni insgesamt zu wenig Niederschläge erlebt – und die wenigen Regenfälle waren dann oftmals nur sehr lokal auszumachen.

Neue Düngeverordnung hinterlässt Spuren

Auch die veränderten Rahmenbedingungen der seit Sommer 2018 wirkenden neuen Düngeverordnung haben 2019 erkennbare Spuren hinterlassen. Insbesondere beim Weizen ist die 2019er Ernte durch ein niedrigeres Proteinniveau in Niedersachsen und eine sehr hohe Variabilität der Protein- und Klebergehalte gekennzeichnet. Die Inhomogenität beim Protein und beim Kleber geht einher mit einer deutlich niedrigeren Relation zwischen beiden für die Backeigenschaften von Mehlen so wichtigen Parametern. Sicherlich lassen sich in vielen Fällen die geringen Proteinwerte mit teilweise hohen Erträgen über den berühmten „Verdünnungseffekt“ erklären. Ob aber das immer der richtige Ansatz ist, müssen die Pflanzenbauer untersuchen. Denkbar wäre auch eine zu schnelle Abreife infolge von Hitze- und Trockenstress.

Jedenfalls stellt der 2019er Jahrgang den Erfassungshandel und die Müllerei vor echte Herausforderungen, denn neben den beschriebenen Abweichungen beim Protein ist das Getreide auch sehr trocken, sodass technische Aufbereitungen wie ein Reinigungsgang im Silo zu höheren Bruchkornwerten führen können.

Negative Preisenwicklung

Zu den schwierigen Rahmenbedingungen kommen nun die Märkte hinzu, die seit geraumer Zeit so gar keinen Ausgleich für Ertrags- und/oder Qualitätseinbußen geben wollen. Anders als im Vorjahr haben wir keinen steilen Preisanstieg im Sommer gesehen, weder an den Terminmärkten noch im Kassamarkt. Die Preisentwicklung unserer Leitbörse in Paris war ab Anfang Juli eher negativ, was sicherlich aus den sehr guten Druschergebnissen in Westeuropa heraus zu erklären ist.

Aber auch der Maispreis in den USA als großer Einflussfaktor aus der kurzen Hausse-Phase im Juni hatte an Kraft eingebüßt. Angetrieben von deutlichen Aussaatverzögerungen, möglicherweise nicht bestellten Flächen und Rekord-Short-Positionen der Fonds in Chicago hatten die Börsenkurse beim Mais bis Ende Juni ein Vier-Jahres-Hoch erklommen und dabei die Weizennotierungen mit gen Norden geschoben. Der für die Anleger enttäuschende und für viele Analysten unverständliche USDA-Bericht Anfang Juli ließ die Preisphantasien schnell in sich zusammenbrechen und führte dazu, dass der Weizenpreis seitdem an der Matif Woche für Woche die Widerstände nach unten testete.

Landea-Kontrakte: Vorausschauende Vermarktung

Die Entwicklung der sogenannten Prämien für physisches Getreide haben sich zwischen Juni und September quasi konträr zur Terminbörse entwickelt. So wurde Weizen bei Matifpreisen oberhalb 180 Euro mit Minusprämien in die Bedarfsregionen verkauft, bei Börsenkursen unterhalb dieser ‚psychologischen Schwelle‘ drehten die Prämien dann ins Plus.

Wenngleich dieser Effekt auch etwas mit Kalkulationen bei den Verarbeitungsprodukten zu tun hat und nicht auf allen Paritäten in gleichen Ausschlägen zu beobachten war, ist er doch ein Ausdruck der (regionalen) Marktversorgung. Nachdem die Landwirtschaft und der Erfassungshandel sich von Teilen der Ware getrennt hatten und der temporäre Verkaufsdruck aus Polen und England etwas nachließ, waren Offerten auf einmal nicht mehr so einfach zu bekommen. Wie lange diese Situation andauert, ist schwer vorherzusagen. Viele Mischfutterbetriebe suchen im Zuge eines eher zögerlichen Vertriebsgeschäfts nur eine kurze Deckung und agieren von Monat zu Monat. Die Brot- und Backwarenindustrie sowie die Weizen-Stärkefabriken haben schon vor langer Zeit einen wesentlichen Teil ihres Bedarfs bis zum Jahresende gedeckt und tauchen höchstens einmal für Preisanfragen auf.

”Und da sind die ‚Großen‘ der politischen Weltbühne, die mit einem Statement, einem Tweet oder einer Geste inzwischen nicht nur Nachrichtensendungen füllen, sondern auch die Märkte massiv beeinflussen können. ” - Alfred Reisewitz, AGRAVIS-Experte

Offen ist die Frage, wann und wie der Exportmarkt in Deutschland anspringt. Anders als in anderen Jahren sind wir beim Weizen aus der Europäischen Union heraus bereits jetzt schon konkurrenzfähig im internationalen Fahrwasser. Dies gilt für rumänischen, bulgarischen, französischen und baltischen Weizen. Und selbst der deutsche Brotweizen liegt seit einigen Wochen in Dollar gerechnet nicht weit weg von der Konkurrenz am Schwarzen Meer. Mengen und Qualitäten gibt es im Ostseeraum ausreichend, bewegt wird davon zurzeit aber recht wenig. Allerdings ist die gegenwärtige Ruhephase nicht untypisch für die Jahreszeit, denn die großen Exportverladungen beginnen bei uns üblicherweise erst ab Februar/März.

Prognosen für eine Grundausrichtung der Märkte abzugeben war nie leicht – in diesem Jahr aber fallen sie besonders schwer. Zum einen ist da die mehr als ausreichende Weltversorgung bei allen großen Getreideprodukten. Bestände sind üppig vorhanden und können den weiter wachsenden Bedarf befriedigen. Die USA und Kanada werden trotz Aussaatverzögerungen im Frühjahr und regionalen Feuchtigkeitsüberschüssen eine gute bis sehr gute Ernte einfahren. Europa hat den Mengeneinbruch 2018 in diesem Jahr kompensiert (auch wenn wir eine solche Aussage mit Blick auf unser Bundesland Niedersachsen vielfach nicht bestätigen können). Südamerika hat eine große Ernte gemacht und sieht den nächsten Rekorden entgegen. Und die Weltkonjunktur-Prognosen lassen für die kommenden zwölf Monate keinen Boom und damit eine Nachfrage-Explosion erwarten.

Viele Fragezeichen und Unsicherheiten

Doch da ist auch das größer werdende Fragezeichen hinter der australischen Ernte, die zur Vollendung und Erfüllung der gegenwärtigen Vorschätzungen dringend Niederschläge braucht. Oder die Tatsache, dass fast die Hälfte aller Bestände im „Reich der Mitte“ liegen und somit dem Weltmarkt nicht zur Verfügung stehen. Da sind die politischen Spannungen im Nahen und Mittleren Osten, der seit den Drohnenangriffen auf saudische Ölraffinerien extrem volatil reagierende Rohölpreis, da ist der feste Dollar. Und da sind die ‚Großen‘ der politischen Weltbühne, die mit einem Statement, einem Tweet oder einer Geste inzwischen nicht nur Nachrichtensendungen füllen, sondern auch die Märkte massiv beeinflussen können. Eine Gemengelage, aus der man schwerlich herauszufinden vermag.

Festzuhalten bleibt am Ende, das wir bei all den Unsicherheiten in den nächsten zwölf Monaten durchaus größere Kursausschläge erwarten dürfen. Dabei werden sich immer wieder Chancen für Teilvermarktungen der Getreidebestände ergeben.

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