Deutscher Getreidemarkt 2023/24

AGRAVIS-Experte ordnet Chancen und Risiken ein

AGRAVIS-Analyst Bernhard Chilla wirft einen Blick auf den deutschen Getreidemarkt und zeigt einen roten Faden für das Wirtschaftsjahr 2023/24 auf.

19. Oktober 2023: Der Krieg in der Ukraine. Sorgen um das Wirtschaftswachstum in Deutschland. Steigende Zinsen. Ein schwächelnder Euro. Noch kein deutlicher Rückgang der Inflationsraten. Eine anhaltend hohe Volatilität bei den Energiepreisen. Und dazu eine nervenaufreibende deutsche Getreideernte 2023. Durch die vielen Schlagzeilen und globalen Unsicherheiten hindurch wollen wir einen roten Faden finden, welchen Weg das Wirtschaftsjahr 2023/24 für das Getreide gehen könnte. Wichtig zur Beurteilung der Versorgungslage sollte dabei eher der Blick auf die fundamentalen Daten sein. Bereits schon im vergangenen Wirtschaftsjahr half dieser Blick deutlich besser als der Versuch, Nektar aus den Schlagzeilen zu den Agrarmärkten zu saugen.

Globale Weizenversorgungslage bleibt angespannt

Ganz einfach gilt für das Wirtschaftsjahr 2023/24: Auf dem Papier bleibt die globale Weizenversorgungslage 2023/24 mit den aktuellen Ernteschätzungen angespannter. Die Vorräte wachsen nach Schätzungen von Marktbeobachtern weltweit nicht an, strukturell wird seit 2018/19 mehr Weizen verbraucht als erzeugt. Die Versorgungslage mit Futtergetreide dagegen dürfte aufgrund einer sehr guten Maisproduktion weltweit deutlich komfortabler sein als im Vorjahr.

Blick auf den deutschen Weizenmarkt sowie die Nachbarländer

Blicken wir auf die Weizenangebotslage in Deutschland. Die Anfangsbestände 2023/24 dürften deutlich über dem Vorjahr liegen, die Produktion dagegen deutlich unter der Vorjahresmenge. Anders umschrieben: Die Angebotslage ist mehr oder weniger unverändert gegenüber dem Vorjahr. Ähnlich ist das Versorgungsbild in den Nachbarstaaten. Frankreich und die östlichen Nachbarländer haben mehr, Skandinavien oder England dagegen weniger Weizen erzeugt als im Vorjahr. Heißt unterm Strich: kein generell knappes Weizenangebot im Markt, doch (wetterbedingt) tendenziell geringere Weizenqualitäten. Generell fällt im deutschen Markt seit einigen Jahren auf, dass der Anteil an Weizen mit niedrigeren Proteingehalten weiter zunimmt, während der Anteil von Weizenpartien mit höherem Proteingehalt abnimmt. Diese Entwicklung wird für die Vermarktung sehr wichtig werden.

Deutscher Weizen nähert sich den französischen Qualitäten an - mit Konsequenzen

Hierzulande erzeugter Weizen nähert sich immer stärker den französischen Qualitäten an. In der Folge dürften sich dann die Absatzmärkte eher den französischen Absatzmärkten annähern, die vor allem in Nordafrika liegen. Frühere typische Destinationen für deutschen Weizen wurden zuletzt verstärkt aus den baltischen Staaten, aus Polen oder aus Russland bedient. Auf der Nachfrageseite dürfte diese Entwicklung für die Preisentwicklung die entscheidende Rolle spielen. Und Deutschland hätte damit seine Pole Position vorerst verloren.

Im Binnenmarkt unterdessen dürfte der Anteil des Weizens im Mischfutter zwar steigen. Doch mit Blick auf die rückläufigen Tierzahlen zumindest nicht drastisch.

Mehr Weizen fließt in Stärkeproduktion und Ethanolerzeugung

Mehr Weizen dürfte 2023/24 in die Stärkeproduktion fließen; eine große neue Anlage zur Stärkeproduktion auf Weizenbasis nimmt ihren Betrieb auf. Das mag für manche ein kleiner Hoffnungsschimmer sein, doch vergessen wir nicht, dass auch Weizen aus anderen EU-Staaten in die Stärkeproduktion fließen kann. Ebenfalls mehr Weizen als im Vorjahr soll zur Ethanolerzeugung verwendet werden. Alles in allem also dürfte damit im Binnenmarkt etwas mehr Weizen abgesetzt werden als im Vorjahr. Dennoch bleibt Deutschland auch 2023/24 ein Nettoexporteur.

Abnehmer von deutschem Weizen schwerer zu finden

Abnehmer von deutschem Weizen im Exportmarkt dürften sich auf den ersten Blick schwerer finden lassen. Aktuell fehlen frühere bedeutende Abnehmerländer wie der Iran, Südafrika, Nigeria oder Saudi-Arabien vor allem wegen des sinkenden Proteingehalts im Weizen. Vorerst wichtiger wird für den deutschen Markt der EU-Binnenhandel werden. Interessanter wird vor allem die Nachfrage aus Spanien. Immerhin hatten die spanischen Weizenbauern 2023 wieder eine weit unterdurchschnittliche Ernte eingefahren, noch schwächer als die bereits schwache Produktion des Vorjahres. Entsprechend braucht Spanien große Mengen an importiertem Weizen. 2022/23 stopfte die Ukraine 2022/23 die spanische Getreidelücke. Doch im Zuge ukrainischer Exportschwierigkeiten importiert Spanien inzwischen verstärkt Getreide auch aus anderen Staaten im EU-Raum. Und davon profitiert derzeit auch der deutsche Markt, insbesondere der Markt für Futterweizen oder Futtergerste. Doch generell gilt für den Weizen: Für eine grundsätzliche Veränderung der Versorgungslage hierzulande braucht es eine überraschend hohe weltweite Weizennachfrage – die aktuell nicht absehbar ist – oder aber einen großen Angebotsschock. Ein Angebotsschock aber müsste über einen signifikanten Produktionsrückgang in Australien erfolgen oder durch Exportrestriktionen Russlands. Derzeit rückt dabei nur Australien in den Fokus. Die Rekordproduktion des Vorjahres (damit verbunden: die Rekordausfuhren im Wirtschaftsjahr 2022/23) lässt sich bei den aktuell zu trockenen und warmen Wachstumsbedingungen nicht wiederholen. Wie stark der Rückgang der Produktion und damit des Exportpotenzials am Ende sein wird, klärt sich in den kommenden vier bis acht Wochen.

Mais kompensiert Verluste bei Gerste

Aus dem Futtergetreidemarkt kommen momentan zu wenig Impulse, um ein deutlich verknapptes Versorgungsbild 2023/24 zu zeichnen. In den USA dürfte die Maisproduktion signifikant höher im Vergleich zum Vorjahr ausfallen – Brasilien hat in diesem Sommer eine Rekordproduktion an Mais eingefahren. Brasilien bedient derzeit die globale Maisnachfrage noch deutlich stärker als die USA. Das sehr stark wachsende Maisangebot kompensiert die weltweit erwarteten Produktionsverluste bei Gerste. Deutschland immerhin hat hier gut geerntet, mit einer nahezu unveränderten Gerstenproduktion verglichen mit der hohen Ernte des Vorjahres. Spanien oder die Niederlande wären wichtige Destinationen für den Export. Doch bislang gestaltet sich genau dieser Export aus Deutschland sehr zäh – Gerste vor allem aus dem Schwarzmeerraum wird deutlich günstiger angeboten.

Fazit: Versorgungslage für Getreide ist nicht knapp, aber auch nicht komfortabel

Unterm Strich zeichnet sich das zu Beginn erwähnte Versorgungsbild ab: Weizen generell knapper versorgt, ein Angebotsschock könnte diese Versorgunglage noch einmal deutlicher verengen. Futtergetreide scheint weltweit üppig angeboten zu werden und sucht ein Zuhause. Die Versorgungslage für Getreide insgesamt ist damit nicht knapp, aber auch nicht komfortabel. Das sollte man bei der Vermarktung der Ernte 2023/24 im Blick behalten.

Dieser Marktbericht erschien zuerst in der Land & Forst.

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